Bergsteigen als Beruf? Spannend. Interessant. Mutig. Bergsteigen als Beruf eines Blinden? Unglaublich. Oder? Der Frage bin ich nachgegangen und erzähle in diesem Bericht von meinem Interview mit Andy Holzer, einem blinden Berufsbergsteiger, der den Mount Everest bestiegen hat.
Mich überwältigt dieser Gedanke jedes Mal aufs Neue. Ich bekomme Gänsehaut, sobald ich über diese Geschichte nachdenke, und freue mich, dass ich diesen unglaublich inspirierenden
Menschen persönlich treffen durfte. Die Reise nach Tirol habe ich unter anderem als Einstieg in meine ehrenamtliche Tätigkeit beim Verein „Open Your Eyes“ genutzt. Es gab zwei Besonderheiten für mich. Einerseits war dies mein erstes Interview, das ich geführt habe. Und andererseits war es das erste mit einer blinden Person.
Erstes Interview
In meinem bisherigen Alltag hatte ich selten bis gar keinen Kontakt mit blinden Menschen. Durch meine bevorstehende Bachelorarbeit an der IST-Hochschule für Management, die ich bei dem genannten Verein schreiben
darf, bin ich bei meinen Recherchen auf die Internetseite von Andy gestoßen und habe dort von seinen Erlebnissen gelesen. Ich habe ihn spontan angeschrieben und gefragt, ob die Möglichkeit besteht, bei seinem Multivisionsbericht, in dem er mit seinen zwei Freunden über den Aufstieg auf den Mount Everest für einen guten Zweck spricht, in Tristach dabei zu sein und ihn persönlich kennenzulernen. Kurze Zeit später bekam ich eine positive Rückmeldung und Vorschläge wie ich am besten nach Tristach reisen könne.
Dort angekommen, durfte ich Andy zuhause besuchen und wurde von ihm und seiner Frau mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Ich bekam die Möglichkeit, ihn vor dem Bericht am Abend persönlich in seinem Umfeld treffen zu können und mit ihm über viele Dinge zu sprechen.
Der kleine Andy
Zuerst einmal wusste ich gar nicht, wie mir geschah. Wer wird schon ganz spontan zu
jemandem nach Hause an den persönlichsten Ort eines Menschen eingeladen und darf dort mit diesem über Dinge wie die Lebensgeschichte, persönliche Erfolge und Motivation sprechen? „Das Wort Motivation kann ich nicht mehr hören.“ Mit diesem Satz war die Frage
nach der Motivation, die ihn dazu bewegt hat, auf den Mount Everest zu steigen, schnell beantwortet. Was ihn wirklich dazu bewegt hat, bezeichnet er nicht als Motivation. Andy klettert seit er neun Jahre alt ist auf Berge jeglicher Höhe. Dabei wurde er von seinen Eltern stets unterstützt. Das für mich Wichtigste, was ich von ihm gehört habe, war Folgendes: „Entweder, man lernt zu gewinnen – oder zu verlieren. Wer aber lernt, zu gewinnen, und einen Erfolg fühlt, will dieses Gefühl immer wieder haben. Das ist es, was mich dazu bewegt, solche Dinge zu tun, wie den Mount Everest zu besteigen.“ Diese Einstellung bekommen Kinder von klein auf beigebracht. Je nachdem, welche Einstellung die Eltern haben und was diese an ihre Kinder weitergeben. Der kleine Andy lebt noch immer in mir und gibt mir Ideen, was ich als nächstes tun soll.“ Diesen kleinen Andy am Leben zu erhalten und weitere tolle Erfolge zu fühlen, ist sein Lebensziel.
Andy ist von Geburt an blind. Seine Blindheit ist gleichzeitig sein Businesskonzept geworden. Durch dieses hat er bereits fast die ganze Erde bereist und hält regelmäßig Vorträge in großen Unternehmen, unter anderem zum Thema „Willenskraft und Motivation“ – das Wort, das er nicht mehr hören mag. Seit 1987 ist er Funker und hat einen 22 Meter hohen Mast in seinem Garten stehen, von dem er in die ganze Welt funkt und mit anderen Menschen so problemlos kommunizieren kann. Im Januar dieses Jahres stürzte er von diesem Mast von 22 auf 8 Meter auf einer Leiter hinab und hat ein paar Verletzungen davon getragen. Schon am nächsten Tag war er im Krankenhaus wieder fit und aktiv. Diese Wllenskraft geschieht, weil er wisse, wie es sich anfühlt zu gewinnen und Erfolge zu feiern. Seine Blindheit hat ihn von keinem Vorhaben abgehalten. Im Gegenteil: Sie spornt ihn an. „Ich kann mir nicht aussuchen, ob ich blind bin oder nicht. Ich kann mir aber aussuchen, was ich damit mache. Der Output liegt bei 101%.“
Unglaublich inspirierend
Am Abend hörte ich im Kultursaal des Tiroler Ortes Tristach gespannt den Bericht von Andy und seinen zwei Freunden Wolfi und Clemens, die mit ihm auf den Mount Everest gestiegen sind. Drei Anläufe hat es gebraucht. Aber nicht wegen der Blindheit von Andy. Nein. Diese hat die drei so bereichert, dass sie mehrere Gruppen auf dem Weg nach oben überholten mit den Worten: „Platz da, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
Der Grund für die drei Anläufe waren Naturgewalten wie eine Schneelawine und ein Erdbeben. Trotz all der Widerstände haben sie es am Ende mit ihrer puren Willenskraft, einer sehr guten körperlichen Fitness und einer wahnsinnig innigen Freundschaft zusammen geschafft.
Dieser Bericht war sehr emotional und unglaublich inspirierend. Man kann alles schaffen, wenn man es will. Fast egal, welche Voraussetzungen man mitbringt.