Gast oder Gastronomie: Wer hat beim Thema Nachhaltigkeit das Sagen?

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Was man isst, ist eine Frage der Gewohnheit und häufig auch der Tradition. In Japan gibt es an Weihnachten traditionell frittiertes Hühnchen. Es stimmt: In diesem Satz wollen „Japan“, „Weihnachten“ und „frittiertes Hühnchen“ nicht so richtig zusammenpassen. Dennoch stellt der Satz einen Sachverhalt dar.

Ein Großteil der japanischen Bevölkerung ist der Urreligion Shintō und dem Buddhismus angehörig. Die christliche Religion spielt in dem Land, in dem sich weniger als ein Prozent der Bevölkerung als Christen bezeichnet, kaum eine Rolle. Weihnachten ist natürlich auch kein Feiertag. Nichtsdestotrotz ist die Tradition des frittierten Hühnchens sehr beliebt. Die „kulinarische“ Weihnachtstradition entstand in den siebziger Jahren. Fast Food nahm zu der Zeit in Japan eine immer größere Rolle ein; ein westliches Schnellrestaurant öffnete nach dem anderen, darunter das US-amerikanische Konzept KFC, damals Kentucky Fried Chicken. Eines Tages wurde der japanische Subunternehmer und später CEO von KFC Japan Takeshi Okawara von einem katholischen Kindergarten eingeladen, wo er sich als Weihnachtsmann verkleidet präsentierte. Dort hatte Okawara die Geschäftsidee, frittiertes Hühnchen zum typischen Weihnachtsgericht zu erklären. 1974 startete die Marketingkampagne „Kentucky for Christmas“ und hat sich seitdem – trotz der eher freien Interpretation des amerikanischen Weihnachtstruthahns – als Weihnachtstradition in Japan etabliert.

Das Beispiel zeigt uns, dass nicht notwendigerweise die Nachfrage das Angebot bestimmt. Umgekehrt funktioniert es ebenso gut. Wenn sich zu Weihnachten in einem nicht-christlichen Land frittierte Hühnchen als Tradition einführen lassen, dann können Gäste durch die Gastronomie auch zu einem nachhaltigeren Konsum verleitet werden.

Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Gastronomie?

Baumpflanzen
Auch durch Baumpflanzen kann man in der Gastronomie einiges bewirken.

Um mit den Gästen kommunizieren und sie führen zu können, muss man zunächst verstehen, was Nachhaltigkeit in der Gastronomie bedeutet. Das ist gar nicht so einfach. Einseitig aufgeladene und undifferenziert behandelte Schlagworte wie „Regionalität“ (nicht immer nachhaltig) oder „Plastik“ (nicht in jeder Anwendung böse), kurzfristige Aktionen, aggressives Nachhaltigkeitsmarketing großer Unternehmen und modisches Offsetting, z. B. durch Baumpflanzen, suggerieren, dass sich in Sachen Klima- und Umweltschutz einiges bewegt, führen aber letztlich zu Verwirrung auf allen Seiten. Gerade das Baumpflanzen führt in die Irre: Die Konsumierenden haben das Bild des großen, üppigen Baumes im Kopf, der die Luft reinigt. Tatsächlich zahlen Unternehmen ein paar Euro für ein Sprössling, dessen Klimawirkung erst nach vielen Jahrzehnten einsetzt: Zu einem Zeitpunkt, da es im Hinblick auf den Klimawandel längst zu spät ist, um irreversible Umweltkatastrophen zu vermeiden. Baumpflanzen bleibt selbstverständlich eine wichtige Maßnahme, die angewandt werden sollte – dabei sollte man nur nicht versäumen, die kurzfristigen Hebel im eigenen Unternehmen zu bewegen.

In Bezug auf das Klima spielt sich branchenübergreifend etwa 80 Prozent des CO₂-eq-Fußabdrucks in den Lieferketten ab. In der Gastronomie ist dies das Angebot – das, was auf den Teller kommt. Unsere Ernährung macht ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen aus. Knapp drei Viertel davon sind durch tierische Produkte verursacht. Das ist der Grund, weshalb unsere Ernährung im Augenblick den wirksamsten, weil am schnellsten umzulegenden Hebel und damit eine kurzfristig wirksame Maßnahme im Hinblick auf den Klimaschutz darstellt.

Viele Menschen wissen nicht, dass uns nur noch ein CO₂-Budget von etwa sieben Jahren zur Verfügung steht, um das Risiko unkontrollierbarer Umwelteffekte niedrig zu halten. Nur wenn wir unsere Ernährung umstellen, können wir die Zeit gewinnen, die erforderlich ist, damit erneuerbare Energien, Bäume pflanzen und technische Innovationen, CO₂ zu binden, überhaupt ihre Wirkung entfalten können. Ohne Ernährungswende keine Klimawende.

Neben CO₂ gibt es zahlreiche weitere Faktoren, die zu beachten sind, damit Gastronomie tatsächlich nachhaltig wird. Daher kann die Realisierung eines nachhaltigen Restaurantkonzepts oder nachhaltiger Gemeinschaftsverpflegung durchaus komplex werden. Die zahlreichen Faktoren sind vielschichtig und alles hängt miteinander zusammen. Darüber hinaus ist – wie bereits angedeutet – das scheinbar Nachhaltige nicht immer ganz so nachhaltig. So kann die Tomate aus dem beheizten Gewächshaus nebenan eine deutlich schlechtere CO₂-Bilanz aufweisen als das sonnengereifte Pendant aus Spanien, Transport mit eingerechnet.

Und dann ist da noch der Gast.

Den Gast führen

Nachhaltige Konzepte in der Gastronomie sind essentiell.

Traditionell fühlt sich die Gastronomie in der Pflicht des Gastes, den sie auf keinen Fall bevormunden möchte. Wie kann und darf sie also beim ökologischen Wandel unterstützen? Reicht es nicht, gerade so viel zu bieten, wie der Gast gerade wünscht?

Zunächst: Jeder kleine Schritt zählt. Nur auf LED umzusteigen, wird aber natürlich nicht genügen. Doch wenn es um Ernährung geht, gilt es zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens unterschätzen die meisten Menschen die Wirkung ihrer Ernährung und zweitens fällt es den meisten Menschen schwer, ihre Ernährungsgewohnheiten umzustellen.

Der überwiegende Teil der Gäste wird die eigene Ernährung nicht in dem Maße ändern, wie dies im Hinblick auf den Klimawandel erforderlich wäre. Auch die Politik zögert zu lange, um mittels Preisgestaltung oder eine verpflichtende Sichtbarmachung der CO₂-eq-Wirkung von Lebensmitteln die Nachfrage in eine umwelt- und klimafreundliche Richtung zu steuern.

Deswegen ist die Gastronomie gefragt. Denn wenn die Gastronomie erst dann reagiert, wenn der Gast fordert und auch nur im Rahmen von dessen aktuellen Befindlichkeiten oder darauf wartet, dass die Politik schon alles regeln wird, könnte die Chance verspielt werden, mit dem gastronomischen Angebot aktiv eine Nachfrage zu gestalten, die zur ökologischen Wende beitragen kann. Das Momentum, das entsteht, wenn viele Gastgeberinnen und Gastgeber handeln, ist auf keinen Fall zu unterschätzen.

Greenwashing-Falle meiden

Die meisten Gäste wünschen sich bereits einen Restaurant-Aufenthalt mit einem guten Gewissen. Doch wie schenkt man ihnen dieses gute Gewissen?

Reden ist Silber, Handeln ist Gold: Gute Nachhaltigkeitskommunikation basiert auf wirksamen Handlungen und ist ehrlich. Überhöht man unverhältnismäßig die eigene Wirkung – sei es bewusst oder wohlmeinend und unbewusst – ist man schnell bei Greenwashing, indem man versucht, ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu erlangen, ohne dass es dafür eine hinreichende Grundlage gäbe.

Wer mit der Haltung rangeht, tatsächlich etwas für die Welt verändern zu wollen, lässt daraus aber in der Regel Handlungen folgen, die wirksam sind. Der Vorteil: Aus tatsächlich nachhaltigem Handeln resultieren echte Inhalte, die für Ihre Gäste relevant sind und mit denen sie sich ernst genommen fühlen. Aus echten Inhalten entsteht eine authentische und erfolgreiche Nachhaltigkeitskommunikation. „Gutes tun“ geht „über Gutes reden“ voraus.

Die Gastronomie hat das Sagen

Um die Herausforderung anzunehmen, die sich aus einer nachhaltigen Ausrichtung ergibt, muss man weder besonders ökologisch ticken noch altruistisch denken oder der revolutionäre Typ sein. Da sich die meisten Menschen einen Restaurant-Aufenthalt mit einem guten Gewissen wünschen, und häufig auch gewillt sind, dafür mehr zu zahlen, kann der nachhaltige Weg für die Gastronomie durchaus profitabel sein.

Schließlich stellt eine nachhaltige Ausrichtung nicht die eigentliche Arbeit von Gastgeberinnen und Gastgebern auf den Kopf. Ob ein Restaurant seine Gäste mit einem umweltfreundlichen oder einem umweltunfreundlichen Angebot verführt, ändert nichts an der gastronomischen Aufgabe, mit Geschmack, Erlebnis und Atmosphäre zu überzeugen.

Wichtig ist nur, sich auf den Weg zu machen und diesen gemeinsam mit dem Gast zu tun. Nehmen Sie Ihre Gäste an die Hand und nehmen Sie sie mit auf Ihren nachhaltigen Weg, verführen Sie sie mit nachhaltigem Genuss. Damit Ihre Gäste die gute Zeit haben, für die sie zu Ihnen gekommen sind.

Dieser Artikel beruht in Teilen auf bzw. zitiert zum Teil aus dem Buch „CO2lution – Gemeinsam. Klima wandeln. Jetzt.“ und Artikeln für das Fachmagazin 24 Stunden Gastlichkeit.

Mehr zum Thema erfahren Interessierte in der 5-monatigen IST-Weiterbildung „Gesundheit und Nachhaltigkeit in der Gastronomie“.

Balázs Tarsoly ist Gründer und Geschäftsführer der auf Food und Nachhaltigkeit spezialisierten Kreativagentur Branding Cuisine. Mit dieser ist er seit 2018 Veranstalter des WeltverbEsserer-Wettbewerbs, einem Award für nachhaltige Gastronomie und Lebensmittelprodukte. Er ist Autor des Buches „CO2lution – Gemeinsam. Klima wandeln. Jetzt.“ und Mentor am Edeka Food Tech Campus in Berlin mit den Schwerpunkten Markenkommunikation und Nachhaltigkeit. Am IST-Studieninstitut ist er Dozent der Weiterbildung „Gesundheit und Nachhaltigkeit in der Gastronomie“.

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