Zusammen mit einer Stallkollegin bist Du trotz leichten Nieselregens unterwegs, auf einem entspannten Ausritt mit deinem Pferd. So zumindest der Plan, bis Ihr auf eine Gruppe Fußgänger mit Regenschirmen trefft. Dein Pferd bekommt Angst, dreht auf der Hinterhand um und will nur noch weg. Sein Verhalten zeigt von Gelassenheit keine Spur, von Sicherheit ganz zu schweigen. Ein beispielhaftes Szenario, was du eventuell so oder so ähnlich schon einmal mit Deinem Pferd erlebt hast. Aber das gehört beim Reiten dazu, oder nicht?
Die Antwort ist: ja und nein. Was damit gemeint ist, und wieso dein Pferd überhaupt schreckhaft ist, klären wir in diesem Artikel. Außerdem erfährst Du, was Du dafür tun kannst, damit Dein Pferd gelassener wird und welche drei typischen Fehler Du in Deinem Gelassenheitstraining unbedingt vermeiden solltest.
Verhalten vom Pferd verstehen – Warum ist mein Pferd schreckhaft?
Bevor Du Dich in Übungen für mehr Gelassenheit stürzt, macht es Sinn, erst einmal zu verstehen, wieso sich Dein Pferd überhaupt so schreckhaft verhält. Die Antwort ist ganz einfach: Es verhält sich seiner Natur entsprechend. Und ja, es wird immer ein Fluchttier bleiben. Ein Pferd nimmt die Welt ganz anders wahr als wir Menschen. Viel zu häufig schließen wir von uns auf das Pferd und tun dem Pferd damit unrecht. Nur, um ein Beispiel zu nennen: Dein Pferd nimmt einen Großteil der (visuellen) Information mit jeweils nur einem Auge auf. Dies hat zur Folge, dass es das Objekt nicht wirklich räumlich und scharf sieht. Um das Objekt scharf zu sehen, muss es also erst einmal seine Position im Raum oder die Stellung seines Kopfes verändern. Das ist aber nur ein Unterschied von vielen. Falls Du tiefergehendes Interesse an dem Verhalten von Pferden und einer Weiterbildung hast, bietet das IST-Studieninstitut das zwölfmonatige Fernstudium zum Pferdeverhaltenstrainer an.
Bedeutet das, dass Du das plötzliche Umdrehen und Wegrennen so hinnehmen musst?
Nein! Du kannst die Natur das Pferdes und seine grundsätzliche Fluchtbereitschaft nicht ändern. Auch kannst Du individuelle Eigenschaften von deinem Pferd, wie beispielsweise seinen Charakter, nicht ändern. Gleichermaßen beeinflusst wird das Verhalten eines Pferdes jedoch auch durch bisherige Vorerfahrungen und Erlerntes. Und auf diesen Teil kannst Du maßgeblich Einfluss nehmen.
Gelassenheit und Sicherheit vom Pferd erhöhen
Macht ein Pferd durchweg positive Erfahrungen mit neuen Dingen, wird gelobt und empfindet Freude und Spaß, wird es sich in neuen Situationen mit großer Wahrscheinlichkeit optimistisch und neugierig zeigen. Ein Pferd, welches hingegen mehr negative Assoziationen mit Neuem hat, reagiert eher mit Angst und Flucht.
Im Gelassenheitstraining kannst Du Situationen schaffen, in welchen Dein Pferd positive Erfahrungen mit Neuem und mit potenziell furchteinflößenden Reizen sammeln darf. Baue Dir dazu unterschiedliche Stationen auf, welche Du dann kontrolliert nutzen kannst.
Übungen für ein gelassenes Pferd
Im Gelassenheitstraining ist der Kreativität keine Grenze gesetzt. Hilfreich ist es, wenn die einzelnen Übungen sich im Schwierigkeitsgrad variieren lassen, um sie an die individuelle Ausgangssituation für jedes Tier anzupassen. Nimm Dir ausreichend Zeit für das Training. Hier ein paar Beispiele für konkrete Übungen:
- Das Pferd über eine Plastikplane gehen lassen
- Das Pferd durch einen Engpass führen
- Berühre dein Pferd mit etwas Neuem (zum Beispiel mit einem Badetier)
- Spaziere mit einem aufgespanntem Regenschirm neben deinem Pferd
- Führe dein Pferd durch einen Flatter-Vorhang
Im Gelassenheitstraining darf dein Pferd skeptisch sein und sich zu Anfang auch ein kleines bisschen fürchten. Wichtig ist, dass Du durch deine Körpersprache, Deine Position im Raum und die ständige achtsame Wahrnehmung Deines Pferdes schnell mehr (emotionale) Sicherheit für Dein Pferd herstellst. Denn Dein Pferd vertraut Deiner Einschätzung. Ausgeprägte Angst gilt es immer zu vermeiden!
Essenzielles Wissen für ein gelungenes Gelassenheitstraining ist Wissen über das Sichtfeld des Pferdes, die Informationsverarbeitung im Gehirn und sein grundsätzliches Lernverhalten, insbesondere die Verstärkung von Verhalten.
Tipp für die Praxis: Gehe kleinschrittig vor und stelle Deinem Pferd möglichst nur Aufgaben, welche es gut bewältigen kann und kein zu großes Hindernis darstellen. So kannst Du es für das Verhalten loben und seine Motivation steigern. Wenn es vom Boden alles gut klappt, dann steigere Dich auch gerne zum gerittenen Gelassenheitstraining. Deine innere Haltung in jedem Training sollte sein, dass Du dem Pferd ermöglichst, stolz zu sein auf das, was es geschafft hat, und Dich mit ihm freust.
Diese vier Fehler solltest Du vermeiden:
- Falsches Timing: Das Timing ist in jedem Training sehr entscheidend. Umso schneller Deine Reaktion kommt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Dein Pferd sie mit seinem Verhalten assoziiert. Das gilt sowohl für beispielsweise das Nachlassen vom Druck am Strick, aber auch das Lob. Lass Dir nicht zu viel Zeit mit Deiner Reaktion.
- Der Reiz ist zu groß/stark: Du willst jede Aufgabe so gestalten, dass Dein Pferd sie schaffen kann. Ganz nach dem Motto „weniger ist mehr“, solltest Du den Reiz zu Beginn möglichst nicht zu groß machen. Umso mehr positive Erfahrungen Dein Pferd macht, umso schneller kommst Du am Ende ans Ziel.
- Loben zur Beruhigung: Jedes Signal im Training darf nur eine Bedeutung haben. Das gilt auch für das Lob. Das Lob bedeutet immer „Super, gerne mehr davon“. Lobe Dein Pferd also immer für erwünschtes Verhalten, aber nicht für das aufgeregte Umherlaufen.
- Nicht zu streng sein: Sei aber auch nicht so streng mit Dir selbst. Besonders das passende Timing kann eine echte Herausforderung ein. Was erfahrungsgemäß sehr gut hilft, ist, sich selbst zu filmen und den Ausschnitt im Anschluss zu analysieren.
Gelassenheitstraining bietet viele Vorteile für Pferd und Reiter. Egal, ob unter dem Sattel oder geführt. Hier die wichtigsten im Überblick:
- Ein neugieriges Pferd lernt besser: Mit den richtigen Übungen kannst Du Dein Training interessant gestalten und die Neugierde fördern.
- Reiter und Pferd machen gemeinsam positive Erfahrungen: Es lohnt sich, positive Erfahrungen mit Neuem zu schaffen. Das Pferd kann dies zum Teil auch auf andere Situationen übertragen. Außerdem stärkt es das Vertrauensverhältnis zwischen Euch beiden.
- Du gewöhnst Dein Pferd an Umweltreize: Es bietet eine gute Möglichkeit um (Jung-)Pferde mit Umweltreizen vertraut zu machen und das „Lernen, zu lernen“ zu unterstützen.
- Du erhöhst die Sicherheit: Wenn Dein Pferd grundsätzlich gelassener und entspannter reagieren kann, erhöht dies die Sicherheit für Mensch und Pferd beim Reiten.
- Du lernst das Lernverhalten von Deinem Pferd besser kennen: Gelassenheitstraining bietet eine hervorragende Möglichkeit, um das Lernverhalten von Pferden zu verstehen.
Die wichtigsten Schritte, um direkt durchzustarten:
- Mache Dir einen Plan wo Du deinen Fokus setzen möchtest. Überlege Dir dann konkrete Übungen und mache Dir Gedanken darüber, wie Du diese im Schwierigkeitsgrad variierst. Steigere Dich von „einfach“ zu „schwer“.
- Nutze das passende Material für Dich und Dein Pferd. Grundsätzlich reicht ein normales gut sitzendes Halfter völlig aus. Hilfreich ist es, anstatt eines Stricks ein längeres Bodenarbeitsseil oder eine Longe zu nutzen. So kannst Du dem Pferd ermöglichen, sich auch ein paar Schritte wegzubewegen, ohne dass Du direkt mitgehen musst.
- Bedenke die Sicherheitsaspekte. Dein Material muss heil sein, trage gegebenenfalls eine Reitkappe und Handschuhe. Je nach Pferd und Übung nutze einen Beinschutz für Dein Pferd. Wenn Du und Dein Pferd unerfahren seid, starte in einem sicher eingezäunten Bereich wie einem Reitplatz oder einer Reithalle.
Du willst fundiertes Wissen über das Gelassenheitstraining? Möchtest verstehen, wie genau Dein Pferd lernt, Vertrauen aufbaut und die Welt wahrnimmt? Wissen, wie Du Trainingspläne sinnvoll gestaltest? Dann ist die Weiterbildung zum Pferdeverhaltenstrainer des IST-Studieninstituts genau das Richtige für Dich!