Letztes Jahr bin ich in Sibirien bei minus 15 Grad einen Marathon in Badehose gelaufen. Warum? Weil ich ausprobieren wollte, ob es geht. Deshalb habe ich mich mit Kältetraining beschäftigt.
Kältetraining hat eine langjährige Tradition: In weiten Teilen Skandinaviens und Chinas tauchen Menschen seit Jahrhunderten in Eisbäder, um ihren Körper robust und ihren Geist flexibel zu halten. Was nach einer extremen Tradition klingt, hat nachgewiesenermaßen viele positive Effekte für deine Gesundheit. Herz und Kreislauf werden gestärkt, die Durchblutung wird angeregt und das Immunsystem gestärkt. Es stärkt ebenso das Selbstbewusstsein und die psychische Belastbarkeit.
Was passiert bei Kältetraining mit unserem Körper?
Durch das Leben im Haus sind wir an angenehme Temperaturen zwischen 20 und 23 Grad gewöhnt und schützen uns draußen durch warme Kleidung. Dabei kann es für den Körper ausgesprochen gut sein, unter den richtigen Bedingungen regelmäßig kalten Temperaturen ausgesetzt zu sein. Kältetraining verbrennt nämlich Fett und verbessert die Durchblutung und das Immunsystem.
● Herzkreislaufsystem
Das Herz-Kreislaufsystem besteht aus einem Netz feinster Blutgefäße, die sich je nach Temperatur ausdehnen und zusammenziehen. Setzt man seinen Körper extremer Kälte aus, ziehen sich die Blutgefäße zusammen und der Körper konzentriert sich darauf, die Körpertemperatur nicht unter 35 Grad fallen zu lassen. Der Blutfluss in die Extremitäten wie Arme, Beine, Hände und Füße wird verlangsamt. Wärmt sich der Körper wieder auf, weiten sich die Blutgefäße und die Adern wieder. Einen ähnlichen Effekt gibt es beim Muskeltraining.
● Fettgewebe
Im Körper gibt es zwei Arten von Fettgewebe, das weiße und das braune. Das weiße Fettgewebe befindet sich größtenteils in der Unterhaut, am Bauch und am Gesäß. Es speichert Energie und isoliert den Körper. Viel spannender ist für das Kältetraining allerdings das braune Fettgewebe, das für die Thermogenese (Erzeugung von Wärme) verantwortlich ist. Erwachsene Menschen haben es nur an wenigen Stellen im Körper. Es ist reich an Mitochondrien, die Energie freisetzen und dadurch Wärme erzeugen. Bereits ab 18°C Umgebungstemperatur wird das Fettgewebe aktiv, um den Körper warm zu halten. Je kälter es ist, desto aktiver wird das braune Fettgewebe. Der Körper wandelt dann weiße Fettzellen in braune Fettzellen um, um sich warm zu halten. Beim Kältetraining nimmt der Stoffwechsel bis zu 300 Prozent zu und setzt Fett in Wärme um.
● Immunsystem
Studien haben bewiesen, dass regelmäßig kalt zu duschen bereits die Produktion der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) anregt. Diese sind für die Bekämpfung von Bakterien, Viren und Pilzen verantwortlich. Regelmäßiges Kältetraining führt also zu einem aktiveren und gut vorbereiteten Immunsystem.
Das wichtigstes Tool: die Atmung
Die plötzliche Kälte stellt den Körper vor bisher ungekannte Herausforderungen. Plötzliche Kälte kann als schmerzhaft empfunden werden und Kribbeln und Wärme im Körper hervorrufen. Die richtigen Atemtechniken helfen dabei, Ruhe zu bewahren und mit der körperlichen Herausforderung umzugehen.
Apnoe-Taucher benutzen übrigens eine ganz ähnliche Methode. Inspiriert sind die Atemübungen durch die tibetanische Meditationstechnik Tummo sowie von Pranayama, einer wichtigen Methode aus dem Yoga. Durch die Konzentration auf die eigene Atmung wird der Körper entspannt. Die Kontrolle über die körperlichen Reaktionen kehrt zurück. Man atmet tief ein und langsam wieder aus – und wiederholt das zehn Mal, bevor man das Wasser kalt dreht oder ins kalte Wasser geht. Als Reaktion auf die Kälte wird sich die Atmung beschleunigen. Die Kontrolle kehrt zurück, indem man bewusst lang und langsam ausatmet und den gleichen Rhythmus hält.
Kältetraining ganz einfach zu Hause
Zum Kältetraining muss man nicht in Sibirien leben. Es empfiehlt sich, die Temperaturen langsam über einen längeren Zeitraum abzusenken und sich nicht direkt extremer Kälte auszusetzen. Sinkt die Körperkerntemperatur nämlich unter 35° C, kann es zu Erfrierungen kommen. Im Extremfall sterben Gewebeteile ab. Davon sind die Extremitäten wie Hände und Füße häufig zuerst befallen. Um das zu verhindern, sollte man das Kältetraining langsam angehen und den Körper Schritt für Schritt daran gewöhnen:
1. Langsam beim Duschen die Temperatur senken
Ist man sehr empfindlich, fängt man zuerst mit Händen und Gesicht an, statt mit dem ganzen Körper. Man startet mit einer angenehmen Temperatur und dreht den Wasserhahn langsam immer kälter bis man am kältesten Punkt angekommen ist. Nach etwa 20 Sekunden beginnt der Körper, sich an die Temperatur zu gewöhnen. Danach erhöht sich der Energieverbrauch und man fühlt sich besser.
2. Kalte Dusche
Im nächsten Schritt wird der Wasserhahn direkt eiskalt aufgedreht. Eine kalte Dusche am Morgen verschafft einen klaren Geist und ist gut für die Durchblutung. Sie ist der erste richtige Schritt hin zum Kältetraining.
3. Eisbad
Funktioniert die kalte Dusche problemlos, kann es weitergehen mit dem Eisbad. Man lässt ein komplett kaltes Bad ein, sitzt aufrecht und lässt sich nach ein paar Minuten komplett ins kalte Wasser sinken. Zu einfach? Dann schüttet man zwei Säcke Eiswürfel ins Wasser und kommt damit einem wirklichen Eisbad von der Temperatur nahe. Ziel ist es, 20 Minuten im kalten Bad auszuhalten. Man kann sich dem langsam annähern, indem man mit 5 Minuten anfängt und seine Zeit langsam steigert.
4. Kältetraining in der Natur
Wenn man sich mit dem Eisbad langsam angefreundet hat, ist es Zeit für die Bewährungsprobe: Idealerweise sollte die Außentemperatur nicht mehr als 5 Grad betragen. Man sucht sich einen natürlichen See und genießt die Intensität der Erfahrung. Die schöne, kalte Landschaft intensiviert die Erfahrung. Wenn man den See gemeistert hat, ist man bereit für das Baden im Eisloch. Aber Vorsicht: Immer einen Trainingspartner mitnehmen, der auf einen aufpasst.
Mit Entschlossenheit zum Ziel
Kältetraining verbessert das Immunsystem und die Widerstandsfähigkeit – trotzdem ist Kältetraining nichts für jeden. Entschlossenheit, Mut und Ausdauer sind die wichtigsten Qualitäten, die einen durch das Training leiten. Kältetraining ist eine Herausforderung. Mit ihr lernt man Qualitäten, die sich in den Alltag übertragen lassen: Stressbewältigung, Resilienz und mehr Kreativität zum Beispiel.