Punktuelle Höchstleistung im Fußball durch Superkompensation

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Mancher Trainer wird sein Team bestimmt schon einmal in einer außerordentlichen läuferischen Höchstform erlebt haben. Meistens tritt diese punktuelle Höchstleistung jedoch eher zufällig auf und flacht dann auch schnell wieder ab. Wie ideal wäre es doch, dieses Topniveau kontrolliert für ein sehr wichtiges Spiel abrufen zu können – beispielsweise für ein entscheidendes Spiel gegen den Abstieg, in der heißen Phase im Aufstiegsrennen oder bei einem Pokalfinale. Die Ursache dieser außerordentlichen läuferischen Höchstleistung im Fußball ist häufg eine bewusste oder unbewusste Anpassungsreaktion nach Überbelastung. Kurz gesagt eine Superkompensation.

Gerade in Ausdauersportarten, vom Amateur- bis Spitzenniveau, wird der Trainingsefekt der Superkompensation für einen wichtigen Wettkampf regelmäßig praktiziert. Als ehemaliger Triathlet, Extremschwimmer, Schwimmtrainer und heutiger Athletik- und A-Lizenz-Ausdauertrainer konnte ich in den vergangenen Jahren besonders durch diese punktuelle Trainingssteuerung mit Teams und (Profi-)Athleten in Russland und Deutschland erfolgreich praktizieren. Ein jüngstes Beispiel möchte ich an Hand der U17-Juniorinnen-Mannschaft des SV Menden erklären, die ich neben einigen anderen Fußballteams in Westdeutschland trainiere. Sie starten als Tabellenführer in der Regionalliga in die Rückrunde und sind Favorit auf den Aufstieg in die Juniorinnen-Bundesliga. In der Wintervorbereitung habe ich diese Anpassungsreaktion unter anderem bei diesem aufstrebenden B-Juniorinnen-Team angewendet. Der punktuelle Anpassungstest gegen einen Bundesligisten war unter anderem durch eine läuferische Höchstleistung erfolgreich. Das langfristige Ziel ist nun, diesen Trainingseffekt bei sehr wichtigen Spielen ebenfalls anzuwenden.

Zunächst möchte ich kurz erklären, was Superkompensation bedeutet. Mit einfachen Worten ist eine Superkompensation eine Anpassungsreaktion vom Körper nach einer ungewöhnlich hohen Belastung. Am Beispiel der bereits erwähnten B-Juniorinnen des SV Menden möchte ich diesen Trainingseffekt praxisnah erklären. Wir alle kennen den klassischen Fußball-Mikrozyklus. Nach einer Spielbelastung am Wochenende wird zu Beginn der Woche regenerativ trainiert. Zur Mitte der Woche hin wird dann die Intensität bis auf ein Maximum gesteigert und danach, um für das kommende Spiel möglichst wieder ausgeruht zu sein, tendenziell mit weniger Belastung gearbeitet.

Die B-Juniorinnen trainieren ebenfalls seit Saisonbeginn und länger in diesem Rhythmus. Die Körper der Spielerinnen haben durch diesen langen Zeitraum eine innere ‚Belastungs-Uhr‘ gespeichert. Sie wissen also, wann welche Belastungen an welchen Wochentagen auf sie zukommen. Für den Effekt einer Superkompensation muss jedoch eine sehr wichtige kritische Reizschwelle der Spielerinnen einmalig überschritten werden. Für die Überschreitung der kritischen Reizschwelle sollte demnach die Spielbelastung am Wochenende ausgewählt werden. Der Ablauf sei in folgenden Schritten erklärt.

Schritt 1 – Die Planung

Das Primärziel ist, herauszufinden, wie intensiv die Vorbelastung beziehungsweise die Überschreitung der kritischen Reizschwelle der Spielerinnen sein muss und wie viel Zeit der Regeneration die Mannschaft nach dem individuellen Reizschwellengesetz danach benötigt. Um während der Saison kein unnötiges Risiko einzugehen, wurde die Rückrunden-Vorbereitung zu diesem Test genutzt.

Zunächst wählt man einen Termin für ein B-Testspiel (Spiel mit geringerer Priorität) aus, was in erster Linie dazu dient, bewusst an die läuferischen Grenzen zu gehen. Das Spiel gegen die klassenhöheren und älteren B-Juniorinnen von Borussia Mönchengladbach haben wir als A-Testspiel (Spiel mit höchster Priorität) ausgewählt. Dort wollten wir schauen, ob sie punktuell für dieses Spiel außerordentlich fit sind und eine Superkompensation zu erkennen ist. Nach dem Reizschwellengesetz sollte zwischen dem B- und A-Testspiel etwa drei bis fünf Tage regeneratives Training stattfinden.

Schritt 2 – Die Überschreitung der kritischen Reizschwelle

Eine Woche vor dem Spiel gegen den Bundesligisten war das B-Testspiel gegen eine U-15 Junioren-Mannschaft. Dieses wurde mit 0:6 gegen die erwartet ‚kräftigeren Jungs‘ verloren. Am Folgetag wurde jedoch nicht wie sonst eher regenerativ trainiert, sondern läuferisch wie am Tag zuvor sehr intensiv gearbeitet. Durch diese außerordentliche Belastung wurde bei den meisten Spielerinnen die kritische Reizschwelle wie geplant überschritten.

Schritt 3 – Die Regenerationsphase

Die Regenerationszeiten sind sehr variabel. Wenn der Zeitraum der Regenerationsphase beispielsweise zu lang ist, geht der Trainingseffekt verloren. Wird in der Regenerationszeit hingegen zu häufig oder zu intensiv trainiert, hat der Körper nicht genügend Zeit zur Regeneration und das Leistungsniveau sinkt. Zusammengefasst kann man sagen, je trainierter ein Sportler ist, desto kürzer ist meist der Regenerationsprozess. Je homogener die Mannschaft ist, desto einfacher ist die Umsetzung. Wenn die Durchschnittsleistung einiger Spielerinnen jedoch abweichen, sollte man die Belastung und Regenerationszeit individuell gestalten.

Bei unserem Mendener U17-Juniorinnen-Team haben wir die anschließenden zwei bis drei Einheiten regenerativ trainiert. Die Einheiten am Dienstag und Mittwoch waren demnach läuferisch im Rekombereich (Regeneration und Kompensation) und maximal im Grundlagenausdauerbereich. Eine gesunde Ernährung und guter regelmäßiger Schlaf wirkten hier unterstützend.

Schritt 4 – Der „Weckruf“ vor dem A-Testspiel

Das Training am Freitag (ein Tag vor dem A-Testspiel- diente als Einleitung der neuen Leistungsspitze. Die Absprache mit dem Fußballtrainer Michael Pütz hat hier ebenfalls sehr gut funktioniert. Die ersten 70 Minuten hat der Fußballtrainer, wie an den Tagen zuvor, tendenziell regenerativ mit der Mannschaft gearbeitet. Die letzten 20 Minuten wurden jedoch durch einen Tempodauerlauf und Intervalle läuferisch sehr intensiv trainiert. Für den Körper stellt dies einen Weckruf dar, dass wieder eine Stresssituation wie vor fünf Tagen bevorsteht. In den meisten Fällen kommt es dann zu einer schnelleren Eiweißsynthese, was wiederum zu einer höheren Leistungsfähigkeit führt.

Schritt 5 – Das Abrufen der Superkompensation

Obwohl die B-Juniorinnen von Borussia Mönchengladbach im Durchschnitt ein Jahr älter waren, war unser Team neben den spielerischen Fähigkeiten läuferisch so stark wie noch nie und konnte das Spiel verdient mit 1:0 gewinnen. Das Trainingsprinzip einer Superkompensation war punktuell sichtlich erfolgreich.

Die Rückkehr der ursprünglichen Leistungsfähigkeit dauert erfahrungsgemäß zwei bis drei Tage. Da jedoch die für die Superkompensation notwendige Überschreitung der Belastungsreizschwelle sehr belastend für den Körper ist, empfehle ich es vielleicht nur drei oder vier Mal pro Saison anzuwenden. Unabhängig davon empfehle ich, in den Vorbereitungsphasen eher in langfristigen Trainingszyklen zu trainieren, bevor innerhalb der Saison der für den Fußball klassische Wochen- bzw. Mikrozyklus praktiziert wird.

Marco Henrichs ist Ausdauertrainer (A-Lizenz Deutsche Sportakademie), verfügt über ein Trainerdiplom Schwimmen, ist Dozent und Buchautor. Am IST-Studieninstitut absolviert Henrichs die Weiterbildung Fußball-Athletiktraining. Der erfahrene Triathlet ist zudem Gründer von H2O-BLOXX.

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