Musikveranstaltungen und Musikfestivals sind seit vielen Jahren fester Bestandteil unseres kulturellen, gesellschaftlichen und alltäglichen Lebens. Insbesondere seit den 2000er Jahren nimmt die Zahl der Musikfestivals aufgrund einer neuen Vielfalt an Interessen und Musikstilen stetig zu. Gleichzeitig steigen jedoch auch die Anforderungen an die Organisation von Musikfestivals. Aufgrund zahlreicher Vorfälle innerhalb der Branche und der Entwicklungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ist das Sicherheitsbedürfnis der Besucherinnen und Besucher gestiegen und die Auflagen seitens der Kommunen, Städte und Länder wurden verschärft. Risiken wie Extremwetterlagen, Terroranschläge, Gewaltandrohungen oder Menschenansammlungen rücken immer mehr in den Fokus und machen Sicherheitsaspekte zu einem wichtigen Bestandteil der Festivalplanung. Mögliche Risiken und Gefahren im Vorfeld zu erkennen, zu analysieren, einzuordnen und daraus entsprechende Maßnahmen für das Festival abzuleiten, ist für Teilnehmende, Personal und das Festival als solches überlebenswichtig.
Risikomanagement – was gehört dazu?
Risikomanagement wurde lange Zeit als Marketingdesaster und hemmende Kraft in der Wirtschaft angesehen (Tarlow, 2002). Die Veranstalter waren der Annahme, dass Menschen sich von Risiken und unsicheren Orten fernhalten. Jedoch hat sich die Wahrnehmung von Risikomanagement aufgrund zahlreicher Vorfälle bei Veranstaltungen verändert. In der Eventbranche wird Risikomanagement als der Prozess der Bestimmung und des Umgangs mit Risiken beschrieben (Quinn, 2013). Er umfasst die Identifizierung potenzieller Notfälle, die Bewertung ihrer Auswirkungen auf die Veranstaltung und die Teilnehmenden, die Bestimmung angemessener Maßnahmen, Reaktionen und Ressourcen sowie Protokolle für Handlungsstränge im Risikofall (Rutherford Silvers, 2008). Ziel ist es, das Wohlergehen und die Sicherheit der Besucherinnen und Besucher, des Personals und aller Interessengruppen vor Ort sicherzustellen und durch unterschiedliche Maßnahmen zu schützen (Bowdin et al., 2011). Doch wie wird dies in der Realität umgesetzt?
Hintergründe zur Studie
Um das herauszufinden, habe ich im Rahmen meiner Masterarbeit im Studiengang Kommunikationsmanagement eine empirische Studie durchgeführt. Das Ziel dieser Arbeit bestand darin, einen Eindruck des aktuell umgesetzten Risikomanagements bei Musikfestivals in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu erhalten. Insbesondere ging es darum, ein Verständnis für den Umgang mit Risiken und Gefahren zu erlangen und einen Einblick in den Risikomanagementprozess der einzelnen Festivals zu erhalten. Hierfür habe ich neun qualitative Interviews mit Veranstalterinnen und Veranstaltern geführt, die entweder hauptberuflich, nebenberuflich oder ehrenamtlich ein Festival organisieren.
Risiken bei Musikfestivals
Im Rahmen der Studie wurden natürliche Gefahren wie Unwetter, Sturm, Gewitter, Hitze, Feuer und Starkregen sowie Besucherströme in Verbindung mit Massenpaniken als relevante Risiken identifiziert. Des Weiteren wurden Explosionen durch Gasflaschen, Risiken durch Einzelpersonen oder Gruppen, Risiken durch berühmte Persönlichkeiten und der umliegende Verkehr genannt. Interessant ist hier, dass ein Studienteilnehmer von „vermeidbaren Risiken“ spricht. Diese „vermeidbaren Risiken“ definiert er als Risiken, die mit dem Stand der Technik und in angemessenem Rahmen vermieden werden können. Damit differenziert er zwischen alltäglichen Risiken, die man in Kauf nimmt, wenn man die Haustüre verlässt, und Risiken, die der Veranstalter zu beachten hat. Es ist naheliegend, dass alle Studienteilnehmenden vermeidbare Risiken meinen, aber ein Teilnehmer diese, aufgrund seiner langjährigen Erfahrung, genauer benennt.
Die Umsetzung und Herausforderungen der Veranstaltenden
Insgesamt weisen die Ergebnisse der Studie auf eine hohe Relevanz von Risikomanagement hin, insbesondere aufgrund der sich stetig erhöhenden Auflagen der Behörden. Risikomanagement wird jedoch weitestgehend nicht als eigenständiger Prozess angesehen, sondern als Teil der Auflagenerfüllung. Demnach richtet sich der Rahmen, in dem das jeweilige Risikomanagement umgesetzt wird, nach den Auflagen der BOS (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben).
Diese Auflagen richten sich wiederum nach der Art und Größe des Festivals und können von Behörde zu Behörde unterschiedlich ausfallen (Bauer et al., 2022). „Im Großen und Ganzen läuft das bei uns unter dem Rahmen Sicherheitskonzept“ sagt eine Studienteilnehmerin dazu. Die Grundlage für die meisten sicherheitsrelevanten Maßnahmen ist demnach das von den Ämtern auferlegte Sicherheitskonzept. Auch wenn kein offizielles Sicherheitskonzept gefordert wird, dienen die Anforderungen und Regularien, die in Form der Gestattung vom Ordnungsamt kommen, als Grundlage. „Der Prozess steckt da quasi mit drin“.
Grundsätzlich sind die Veranstaltenden für die Erstellung und Einhaltung des Sicherheitskonzepts verantwortlich. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die BOS häufig bei der Erstellung des Konzepts mitwirken. Nach dem ersten Entwurf wird das Konzept beim zuständigen Ordnungsamt eingereicht und anschließend an die weiteren BOS weitergeleitet, die ihr offizielles Einverständnis erklären müssen. Den Veranstaltenden sind oft nur wenige der zahlreichen Fachgesetze und Verordnungen bekannt, die dem Sicherheitskonzept und den Auflagen zugrunde liegen. Dies zeigt einen der Gründe für die Entstehung des Orientierungsrahmens auf (IM NRW, 2021). In Bezug auf diese Zusammenarbeit wurden zahlreiche Kritikpunkte genannt. Dazu gehört eine empfundene Willkür bei der Wahl der Auflagen, fehlende Unterstützung aufgrund von nicht gewollter Haftbarkeit der Behörden und das Fehlen eines einheitlichen Veranstaltungsgesetzes. Es wird sowohl in der Literatur als auch in den Interviews diskutiert, dass die BOS mit den Auflagen teilweise nur sich selbst und nicht die Besucherinnen und Besucher von Veranstaltungen schützen möchten (Waetke, 2022).
Abgesehen von der gemeinsamen Erstellung des Sicherheitskonzeptes unterscheidet sich die Zusammenarbeit der Veranstaltenden mit den BOS am Veranstaltungsort. Während einige Festivals ausschließlich einen Sanitätsdienst vor Ort haben, gibt es bei anderen Festivals Krisenstäbe, die aus Mitgliedern der Polizei, der Feuerwehr, des Ordnungsamtes und des Sicherheitsdienstes bestehen. Die Perspektive auf die Zusammenarbeit ist ebenfalls unterschiedlich. Der Wissensaustausch, der durch die Kooperation entsteht, wird wertgeschätzt und auch in der Literatur als wichtiger Faktor genannt (Getz & Page, 2020). Einige Interviewteilnehmende beschreiben die Kommunikation mit den BOS als sehr vertraut und auf Augenhöhe. Auffällig ist hier, dass es sich bei diesen Festivals um Veranstaltungen in kleineren Städten oder Kommunen handelt (zwischen 600 und 25.000 Einwohnern), in denen sich die Personen untereinander, nach Angabe der Veranstaltenden, gut kennen. Ein entscheidender Punkt, der im Rahmen der Zusammenarbeit mit den BOS häufig angesprochen wird, ist das Thema der Verantwortung. Während einige Studienteilnehmende sich klar in der Verantwortung sehen, die Entscheidung zum Abbruch eines Festivals aufgrund eines Störfaktors zu treffen, sprechen andere von einer Kollision der Verantwortungsbereiche zwischen BOS und Veranstalter. Zu dem Thema Zusammenarbeit mit den BOS und der gemeinsamen Verantwortung will ebenfalls gesagt sein, dass Risikomanagement im Allgemeinen nicht nur Veranstaltersache ist, sondern aufgrund der Gesamtstruktur seitens der Behörden eine kooperative Arbeit. Gleichzeitig sind aber die Veranstaltenden offiziell für die Erfüllung und Einhaltung der Auflagen verantwortlich. Das ist ein Missstand, der sowohl in der Literatur als auch in verschiedenem Ausmaß in den Interviews erwähnt wird (Ebner et al., 2020).
Neben der Kritik an den Auflagen der BOS, identifizieren die Interviewpartnerinnen und -partner weitere Probleme in unterschiedlichen Bereichen. Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Maßnahmen, die an die Auflagen geknüpft sind, werden mehrfach genannt. Zusätzlich werden Schwierigkeiten wie die Unmöglichkeit von Ernstfallproben, der Mangel an Kontakt- und Austauschmöglichkeiten zum Thema Risikomanagement sowie die unterschätzte Relevanz von kleinen Teilaspekten genannt.
Was können Veranstaltende tun?
In erster Linie soll hier die Notwendigkeit, sich der Relevanz von Risikomanagement bewusst zu sein, erwähnt werden. Eine klare Vorstellung von potenziell vermeidbaren Risiken, ihrer Bedeutung und Auswirkungen auf das eigene Festival ist unabdingbar, ebenso wie Klarheit über den eigenen Risikomanagementprozess. Obwohl die Umsetzung in Form von Auflagen und Sicherheitskonzepten der Länder erfolgt, kann das Verständnis der einzelnen Teilaspekte bei der Umsetzung und dem Risikomanagement von Festivals helfen. Es ist wichtig, den Umgang mit Risiken von der Konzeptentstehung bis hin zur Umsetzung und Evaluation des Festivals als beeinflussenden Faktor zu betrachten und entsprechend einzubeziehen.
Zusätzlich empfiehlt es sich, mit anderen Festivalveranstalterinnern und -veranstaltern in Kontakt zu treten. Dies kann beispielsweise durch persönlichen Austausch oder durch einen Beitritt bei HÖME oder LINA geschehen. HÖME ist ein Zusammenschluss von aktiven und ehemaligen Veranstaltenden, die sich regelmäßig über die neuesten Entwicklungen in der Branche austauschen. LINA, die Live Initiative NRW, ist ein Verband von Spielstätten, Clubs, Festivals und Veranstaltenden. Der Verband steht seinen Mitgliedern in beratender Funktion zur Seite.
Auch der Kontakt zu Ämtern und Behörden sollte frühzeitig gesucht werden, um Unterstützung beim Aufbau des Risikomanagementprozesses zu erhalten. Die Ministerien der Länder stellen häufig Merkblätter und Hilfestellungen in Form von Musterkonzepten auf ihren Webseiten zur Verfügung, die ebenfalls unterstützend wirken können. Gegebenenfalls können hier auch Informationen zu Kosten eingeholt werden, die unbedingt in die Planung einkalkuliert werden sollten.
Ein erfolgreiches Risikomanagement lebt von ständiger Weiterentwicklung und Evaluierung, insbesondere nach Vorkommnissen oder Änderungen. Zusätzlich umfasst es in der Regel weitere Maßnahmen, die zum Wohlbefinden der Zuschauer beitragen. Als Beispiel kann das Verteilen von Sonnencreme und Hüten an heißen Tagen genannt werden.
Abschließend empfiehlt es sich, die Teilaspekte der Risikowahrnehmung und Risikokommunikation genauer zu betrachten. Obwohl sie nicht explizit Teil der Auflagen sind, haben sie im Rahmen eines ganzheitlichen Risikomanagements ihre Daseinsberechtigung und können wichtige Hinweise enthalten. Zudem tragen sie zu einer erfolgreichen Event-Experience der Besucherinnen und Besucher bei – und welcher Festivalveranstalter möchte das nicht?
Quellen:
- Bauer, M. J., Naber, T., & Augsbach, G. (2022). Festivalmanagement. Grundlagen der Produktion von Open-Air-Musikveranstaltungen. Wiesbaden; Heidelberg: Springer Gabler.
- Bowdin, G., Allen, J., Harris, R., McDonnell, I., & O’Toole, W. (2011). Events Management (3. Ausg.). London: Routledge.
- Ebner, M., Klode, K., Sakschewski, T., & Paul, S. (2020). Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen. Grundlagen für Behörden, Betreiber und Veranstalter (3. Ausg.). Berlin: Beuth Verlag.
- Getz, D., & Page, S. J. (2020). Event Studies. Theory, Research and Policy for Planned Events (4. Ausg.). New York: Routledge.
- IM NRW. (2021). Orientierungsrahmen zur Sicherheit von Veranstaltungen im Freien mit erhöhtem Gefährdungspotential. Abgerufen am 18. Januar 2023 von Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen: https://www.im.nrw/themen/gefahrenabwehr/sicherheit-vor-ort/sicherheit-bei-veranstaltungen
- Quinn, B. (2013). Key Concepts in Event Management. Thousand Oaks: SAGE.
- Rutherford Silvers, J. (2008). Risk Management for Meetings and Events. Oxford, UK: Elsevier Ltd.
- Tarlow, P. (2002). Event Risk Management and Safety. New York: John Wiley & Sons.
- Waetke, T. (12. Mai 2022). Sicherheitskonzepte bei Veranstaltungen in Rheinland-Pfalz. Abgerufen am 24. Mai 2023 von EventFAQ: https://eventfaq.de/126666-2/