Die erste Weltmeisterschaft im arabischen Raum ist Geschichte. Die Kritik an der FIFA und am Gastgeberland verstummte auch während des Turniers nicht – weder in den Medien, noch vor Ort. Welche Schlüsse ziehe ich als Volunteer aus meinem Erlebnis in Katar?
Die arabische Kultur
Als Volunteer begegnete ich täglich Menschen aus der ganzen Welt. Viele Kontakte konnte ich vor allem zu Fußballbegeisterten aus dem arabischen Raum aufbauen, welche mir ihre Kultur und ihren Glauben näherbrachten. Dank eines befreundeten Saudis erhielt ich sogar die Möglichkeit, bei einem traditionellen Abendessen einer katarischen Familie zu Gast zu sein. Wie hier üblich, trafen sich Männer und Frauen getrennt. Lädt hierzulande jemand Besuch ein, so ist es zudem geläufig, die engere Verwandtschaft sowie die Nachbarschaft einzuladen. Somit wurde ich Teil einer Runde von circa zwanzig Männern von jung bis alt.
Das Abendessen, bestehend aus Reis, Fleisch und Gemüse, wurde in einer großen Schale auf dem Boden serviert, woraus alle mit ihren Händen aßen. Zuerst waren die älteren Herren und die Gäste an der Reihe, wonach die Jüngeren in der Runde zum Zuge kamen. Der Gastgeber witzelte mit mir und sagte: „Wir essen wie die Löwen – vom Boden, erst die Alten, dann die Jungen.“ Es war eine lockere Runde, und wir sprachen offen miteinander. Auch die Boykott-Rufe und die laute Kritik in vielen westlichen Ländern wurden zum Gesprächsthema. Ich wurde zum Mittelpunkt der Runde und klärte über die weitverbreitete Ablehnung des Turniers auf. Zu meinem Erstaunen stieß ich auf Verständnis und Offenheit.
Nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Gäste aus Saudi-Arabien bekräftigten stets, dass jedermann bei Ihnen willkommen sei. Gleichzeitig forderten meine Gegenüber auch eine ähnliche Offenheit von ihren Gästen und fügten an, dass sie sich durch den Westen oftmals bedrängt oder belehrt fühlen würden. Es waren Eindrücke der arabischen Welt, welche ich ohne die WM in Katar wohl kaum erlangt hätte.
Die omnipräsente Kritik
Klar ist, dass die Kritik an der Weltmeisterschaft auf verschiedensten Ebenen stattfand und differenziert betrachtet werden sollte. Kein aufklärendes Gespräch, kein gutanzusehendes Fußballspiel und kein Sieg der eigenen Mannschaft rechtfertigt Vergehen gegen die Menschenrechte. Doch durch die omnipräsente Kritik formte sich zudem ein öffentliches Bild der Einheimischen, ihrer arabischen Kultur und ihres Glaubens, welches ich für mich persönlich in vielen Gesprächen widerlegen konnte. Gerade die Offenheit vieler meiner Gegenüber beeindruckte mich. Diese allein bringt jedoch noch keine Veränderung in den zahlreichen Kritikpunkten zum Tragen.
Die Kritik hinterließ jedoch auch ihre Spuren während des Turniers. In vielen Spielen mit europäischer Partizipation ließ die Stimmung in und rund um die Stadien zu wünschen übrig. Bei mir persönlich löste sich auch vor Ort nie ein wirkliches WM-Feeling aus. Dies würde ich jedoch nicht allein auf mein generelles Erlebnis in Katar zurückführen, sondern auch auf die öffentliche Ableh-nung in meiner Heimat. Gerade dadurch war mein Fokus vermehrt auf das Geschehen neben dem Platz gerichtet.
Eine Weltmeisterschaft auf engem Raum
Die Weltmeisterschaft in Katar brachte ein weiteres Novum mit sich. Das erste Mal war es Zuschauern möglich, mehrere Stadien an einem Tag zu besuchen. Auch ich fuhr beispielsweise nach einer Schicht am Nachmittag noch zu einem Spiel mit einer späteren Anstoßzeit. Die kurzen Strecken brachten zudem auch Vorteile auf organisatorischer Ebene, da beispielsweise Verantwortliche und auch Medienschaffende einen wesentlich kürzeren Arbeitsweg als bei anderen Weltmeisterschaften zurücklegen mussten. Gleichzeitig konnte das vorhandene Personal, wie beispielsweise wir Volunteers, in verschiedenen Stadien eingesetzt werden.
Katar konnte die organisatorischen Schwierigkeiten einer WM auf solch engem Raum meistern. Gerade das hochmoderne Metrosystem, das weitreichende Busnetz und der stets starkkontrollierte Besucherfluss ermöglichten meist reibungslose und kurzgehaltene Abläufe. Jedoch bleibt für mich die Frage, ob ein solches Großturnier auf kleinem Fleck den Besucher vor Ort nicht auch überfordern kann. Zudem wird es in naher Zukunft wohl kaum einen weiteren Standort geben, der denselben Weg wie Katar gehen kann und will. Es bleibt derweil zu hoffen, dass die zukünftigen Turniere wieder unter einem anderen Licht stattfinden werden und der Fußball dann wieder im Zentrum des Geschehens steht.